Was macht ein Atmosphäre-Berater?


Was macht ein Atmosphäre-Berater?

Gnox | 01.01.2021

Vor langer langer Zeit, als die Welt noch beinahe analog war, stieß ich auf einen Foreneintrag, in dem Mitglieder für ein Projekt gesucht wurden, bei dem die Grafik meines Lieblings(rollen)spiels überarbeitet werden sollte: Gothic! Das Projekt, das damals noch keinen Namen hatte und kurz darauf GIMP (Gothic IMprovement Project) getauft wurde, bevor es einige Zeit später zu GRM (Gothic Reloaded Mod) umbenannt wurde, steckte gerade in den Kinderschuhen. Zum damaligen Zeitpunkt waren kürzlich einige Texturpatches erschienen, die sich das gleiche Ziel gesetzt hatten und die meiner Meinung nach allesamt für die Tonne waren. Warum? Weil sie zwar schön anzusehen waren aber in mir ein derart anderes Spielgefühl hervorriefen, dass ich mich letztlich immer wieder für die originalen Texturen entschied. (Den Begriff "Vanilla" gab es in diesem Kontext damals noch nicht...) Denn genau hier lag das Problem: Schöne Texturen passten nicht zu einem Spiel, das gar nicht den Anspruch erhob, schön zu sein. Gothic war dreckig, es war rau – und dreckiger Pixelbrei trug zu diesem Eindruck in einer Art und Weise bei, welche die hochaufgelösten Texturpatches zum damaligen Zeitpunkt nicht einzufangen vermochten. Daher wandte ich mich an den Gründer dieses Projektes und teilte mit ihm meine Überlegungen diesbezüglich.

Und schwupps wurde ich Teil des Teams. Das alles war 2007, seitdem begleite ich die GRM. Kaum vorzustellen! Ich analysiere, was für ein Erlebnis und welche Empfindungen Gothic aus welchen Gründen auf die Spieler hat und achte darauf, dass diese bei allen grafischen Aufwertungen erhalten bleiben. Denn oft übernimmt unsere Wahrnehmung gerade bei detailarmen Texturen ganz automatisch die Aufgabe, diese zu ergänzen. Wir sehen nicht was da ist sondern interpretieren Kontext, Ort, Umgebung einer Textur als Gesamteindruck.

Besonders in der Anfangszeit habe ich mich bemüht, eine Art "Design-Richtlinien" zu finden und das Augenmerk der 2D Artists darauf zu lenken, achtsam zu sein was sie bei einer Textur wahrnehmen und weniger darauf, was sie sehen. Da kamen dann Anregungen wie die Folgenden bei raus:

»Wenn ihr Texturen bearbeitet, vom Boden oder von Wänden, die man im Spiel nicht so bewusst wahrnimmt, einfach weil man immer dran vorbeiläuft und nichts besonderes dran ist, dann macht folgendes: Stellt eure Augen unscharf, starrt einfach ins Leere und schaut euch dabei die originale Textur im Augenwinkel an, sodass ihr keine Details wahrnehmt. Versucht zu fassen, was ihr erkennen könnt – das ist dann wichtig und muss in die neue Textur.«

Und dann wird Überzeugungsarbeit geleistet und verhandelt! Denn jede Anmerkung bedeutet immer auch, dass der 2D oder 3D Artist seine eigene Perspektive ein Stück weit ändern, ergänzen oder gar revidieren muss – im schlimmsten Fall sogar dahingehend, die Arbeit mehrerer Stunden komplett in die Tonne zu treten und neu anzufangen. Ganz klar, dass nicht jeder davon angetan ist. Zumal von einem einmal gefassten Blick abzuweichen gar nicht so einfach ist. Vor allem dann nicht, wenn auch noch zum Teil entgegengesetzte persönliche Meinungen unterschiedlicher Personen zugunsten eines großen Ganzen auf einen Nenner gebracht werden sollen. Da wurden im internen Forum durchaus schon mal die Finger wund getippt! Zum Beispiel: Wald-Portale, Baumgröße/-abstände, Vegetation und Gras.

Doch auch eher unverdächtige Details wie die Reduktion von Kanten, der Erhalt leerer Flächen, spielerische Veränderungen durch eine erhöhte Sichtweite, die veränderte Beleuchtung durch den neuen D3D11 Renderer oder die Wiederherstellung von Features wie beispielsweise Fog Zones wurden und werden von mir stets einem kritischen Blick unterzogen, damit die GRM möglichst nah an das herankommt, was ich gerne als "Nostalgiebrille" bezeichne: Die Spielerfahrung wie sie nie war, wie wir sie aber alle in unserer Erinnerung haben – nur schöner! Damals. In dieser Welt, die noch beinahe analog war.